Vor dem Saisonstart – ein langer Blick zurück…

Bevor die neue Saison richtig startet, teilen unsere Sportfreunde Friedrich mit uns einen langen Blick zurück. Einen sehr langen Blick zurück, bis zum 6. Juli 1979. Vielen Dank dafür! Lasst euch überraschen, was Autobahn-Baustellen und Segeln verbindet. 🙂

Urlaubsstart mit Hindernissen

Es war gerade einmal kurz nach sieben Uhr am Morgen des 6. Juli 1979, als wir bei km 19 auf dem Havelkanal mit kleiner Fahrt zu kreisen begannen. Dann kam der Motorbootfahrer, der uns die Weiterfahrt untersagt hatte, noch einmal zu uns zurück. Wir sollten gefälligst anlegen und nicht die Leute nervös machen.

Anlegen, – ja wo denn? Rechts und links nur steiniges Kanalufer, keine Option für den Holzrumpf eines 15-ner Jollenkreuzers. So stoppte ich notgedrungen unseren Tümmler und hielt das Boot paddelnd in sicherer Entfernung von den Steinen auf der Stelle.

Dabei hatte bis dahin alles so gut geklappt:

Wir hatten uns in aller Herrgottsfrühe aus der Koje geschlichen und angezogen, um die Nachbarn nicht zu wecken. Am gestrigen Nachmittag war der „Kahn“ nach dem Verstauen des Proviants  für die Kanalfahrt umgerüstet worden:  Mast gelegt und nach vorn gebunden, der Tümmler gecheckt und probegestartet . –  Es sollte ganz früh losgehen, um gleich am ersten Tag vielleicht sogar noch durch die Schorfheide zu kommen. Vorsichtig und so leise wie möglich paddelten wir sachte aus dem Stand.

Der Tümmler sprang an, die Kühlwasserpumpe spielte ebenfalls mit –alles verlief nach Plan. Leider konnte man die morgentliche Stille, die uns zu dieser Zeit wahrscheinlich noch umgab, nur ahnen, denn das Knattern des zum Glück problemlos funktionierenden kleinen Helfers war einfach zu laut. Auf dem Zernsee zeichneten wir ein einsames Wellenmuster auf die glatte, nur von etwas Dunst bedeckte Wasserfläche. Auch Töplitz und Phöben lagen bald hinter uns. Der Göttinsee blieb, wie immer, rechts liegen, und nach einem kurzen „Schlenker“ waren wir im Havelkanal. Als die neue Autobahn bei Brieselang in Sicht kam war ich in Gedanken schon bei der Frage, wie lange wir wohl vor der Schleuse Schönwalde warten müssten. Dann kam uns ein Motorboot  entgegen, und der Fahrer rief uns zu, dass wir nicht weiter dürften.

Wir sahen nur, dass an einer Baustelle am linken Ufer reger Betrieb herrschte, hatten aber keine Ahnung, warum wir da nicht locker vorbeifahren können. Offenbar waren wir auch die Ersten, die angehalten wurden.

Warum, das erfuhren wir erst, als nach uns der erste Berufsschiffer aufstoppen musste: Der 6. Juli war der Tag, an dem bei Brieselang das Brückenteil für die Autobahnbrücke der A10 über den Kanal gezogen wurde!

Das nicht einmal die Berufsschifffahrt ausreichend informiert  wurde  war nur ein schwacher Trost für uns. Ein Vorteil jedoch, –  gemeinsamer Frust verbindet! Schnell kamen wir ins Gespräch und wir durften längsseits festmachen. Dies gestattete er auch  dem nächsten Segler, den dieses Pech ebenfalls gleich am ersten Urlaubstag  erwischt hatte. Das Beste aber, er versprach, dass er uns später bis zu seinem Fahrtziel hinter der Schleuse Lehnitz in Schlepp nehmen würde.

Also erstmal Frühstück machen. Vor lauter Aufregung hatten wir das Magenknurren fast überhört.

Natürlich blieben wir nicht die einzigen Opfer. Sportboot auf Sportboot sammelte sich an der Sperrstelle, und  immer mehr machten auch an unserem Berufsschiffer fest. Auf dem Kanal entstand ein dichtes Gewühl. Päckchen bildeten sich um größere  Motorboote, so mussten nur deren Skipper hin und wieder die Abdrift korrigieren.

Die direkt vor uns liegende Baustelle ließ inzwischen auch für uns bautechnisch weniger Versierte deutlich erkennen, wie das Brückenmanöver vor sich gehen sollte. Am rechten Ufer befand sich ein großer Schwimm-Ponton mit einem massiven Gerüst, auf dem das noch überwiegend an Land befindliche Brückenteil schon auflag. Inzwischen war dieser Ponton mit dicken unter Wasser geführten Stahltrossen mit entsprechenden Winden am linken Ufer verbunden worden, so dass das Brückenteil, aus unserer Sicht natürlich viel zu langsam, über den Kanal gezogen werden konnte. Es geschah dann tatsächlich so langsam, dass die Bewegung kaum zu erkennen war.

Nach im Zeitlupentempo verstrichenen Stunden, in denen wir ab und zu das Baugeschehen  verfolgten und auch immer wieder vergeblich versuchten, uns irgendwie abzulenken, wieder ein Kontrollblick zum Brückenteil, – ah, schon über die Hälfte geschafft. Licht am Ende des Tunnels. Doch wir sollten die Rechnung ohne den Wirt gemacht haben!

 

 

Inzwischen hatte Margot das Mittag auf den Tisch gebracht, und das „Futter fassen“ war wieder eine Tätigkeit, die uns ein wenig vom Frust über den ungeplanten Aufenthalt ablenkte. Zum Glück spielte das Wetter mit. Obwohl sich der Himmel langsam zuzog, war es mit 17 Grad auszuhalten. Jetzt auch noch Regen, das wäre wohl die Krönung.

Eine gefühlte Ewigkeit später, das Brückenteil war dem zukünftigen Brückenlager schon deutlich näher gekommen, gab es plötzlich Hektik auf der Baustelle. Die Bauarbeiter sammelten sich unten am Ufer, starrten ins Wasser und gestikulierten aufgeregt. Was war geschehen?

Als sie einen dicken Schlauch in Stellung brachten und mit einem Wasserstrahl vor dem Ponton hantierten wurde es uns klar:  Der Ponton hatte zu früh Grundberührung und konnte nicht in die notwendige Position gezogen werden!

Die Spülversuche blieben jedoch wirkungslos. Die inzwischen über die dicht bei dicht liegenden Boote möglich gewordene Nachrichtenverbindung lieferte die Information, dass ein Bagger geholt werden müsse, um die störende Uferböschung zu entfernen. Ungewiss, wie lange das dauern würde!

Doch auch diese Stunde verging,  und von allgemeinem Aufatmen begleitet nahm der Bagger die Räumung des Hindernisses in Angriff. Wir alle schauten gebannt und plötzlich geschockt: Vermutlich hatte der Bagger mit seinem Greifer eins der Stahlseile des Pontons  erwischt. Die Aufregung unter den Bauarbeitern wirkte fast panisch, doch nach kurzer Unterbrechung arbeitete der Bagger wieder,  und dann, endlich,  konnten die Winden den Ponton in die geplante Endposition ziehen.

Die allgemeine Erleichterung, als das  Brückenteil endlich auflag, wo es hinsollte, ist wohl verständlich. Nach fast genau sieben Stunden, es war inzwischen schon nach zwei Uhr, wurde der Kanal wieder freigegeben.

Unser Berufsschiffer erschien an Deck und löste alle Leinen, die sich an seiner Reling angesammelt hatten. Verärgert wegen der vielen Zugänge? Na, das war es dann wohl mit dem  bequemen Schlepp.

Also schnell den Motor klar machen,  um wieder geduldig den Lärm zu ertragen.

Aber dann die freudige Überraschung: Der Berufsschiffer vor uns wurde langsamer, und wir holten auf. Als wir ihn eingeholt hatten, winkte er uns beide heran, nahm unsere Schleppleinen entgegen, und unser Tümmler hatte Ruhe, bis wir gemeinsam, wie versprochen, in die Schleuse Lehnitz eingefahren waren. Sehr dankbar nahmen wir Abschied und setzten unsere Reise wieder aus eigener Kraft fort. In Liebenwalde und Bischofswerder wurde noch geschleust, und kurz vor halb zehn lagen wir,  ganz schön „geschafft“ und  dennoch zufrieden, vor der Schleuse Zehdenik,  eigentlich heilfroh, dass dieser aufregende  aber auch interessante Tag noch so ein gutes Ende genommen hatte.

Ich glaube, es ist verständlich, dass wir jedes Mal, wenn wir  in all den folgenden Jahren diese Brücke passierten, eine besonders lange Gedenkminute einlegten.

Aus heutiger Sicht und mit dem zeitlichen Abstand betrachtet, der auch vergangenes Ungemach manchmal noch verklärt: Eigentlich war es sogar gut, dass sie uns nicht noch durchgelassen haben. Uns wäre ein echtes Erlebnis entgangen.

 

Margot und Hans Friedrich